19.06.5 n. WK4, 6:41pm, 68 °F, sonnig
Das Wetter heute ist ausgesprochen gut. Ganz im Gegensatz zu meiner aktuellen Stimmung. Oder auch allem anderen. Denn heute ist im Grunde gar nichts gut. Vor einigen Tagen fragte ich mich noch, welchem Irrsinn ich mich mit dieser ganzen Mission aussetzen würde. Dann sahen wir die "La Frontera Victoriana" im Hangar der königlichen Gesellschaft liegen, nur darauf wartend, uns an Bord in Empfang zu nehmen. Und ich schrieb es bereits: ein Traum von einem Schiff. Eher alptraumhaft allerdings die Geschehnisse der letzten Stunden.
Doch im einzelnen:
Kaum hatte ich meinen letzten Tagebuch-Eintrag vollendet, zog es mich zurück zu dem Gefährt, auf welchem wir unsere Expedition beginnen sollten. Friederich Eugenius war bereits vor Ort und trug ein Stemmeisen in der Hand, das er allerdings als "Spitzhammer" bezeichnete und dazu verwendete, um die großen und kleinen Rohrverbindungen und sonstigen Instrumente des Luftschiffs abzuklopfen. Mal höheres, mal tieferes metallisches Schlagen war durch sämtliche Decks zu vernehmen und ich kann die Arbeitssamkeit des Bordingenieurs nur als ausgesprochen fleissig - nein, eher als besessen und fanatisch, bezeichnen.
Friederich Eugenius jedenfalls blickte mich mit weit geöffneten Augen ungläubig an, als ich ihn in bester diplomatischer Manier zur Seite zog und ihm ein freundliches "So langsam ist es genug, Herr Eugenius, mein Schädel droht zu zerbersten" zuwarf. "Ich bin gleich soweit", entgegnete er und eilte schnellen Schrittes in den Lagerraum, in dem gestern noch die Heliumflaschen des Kapitäns untergebracht worden waren.
Kopfschüttelnd wandte ich mich ab und schritt die nahegelegene Treppe zum Kartenraum empor. Dort begegnete ich auf der Nebelweide, gebeugt über einen leeren Tisch, scheinbar die Holzstruktur desselben studierend. "Ich kann es schon förmlich vor mir sehen, mein lieber Herr von Nankofen!".
"Das ist schön zu hören", antwortete ich irritiert und ergänzte: "Ich sehe auch etwas - Dr. von Gruvenstein beehrt uns endlich mit seiner Anwesenheit. Er scheint mir allerdings etwas aufgebracht."
Flugs beschlossen wir, ihm entgegen zu gehen. Gerade auf dem Weg die Stelling hinab hörten wir trabende Schritte hinter uns. Friederich Eugenius näherte sich in atemberaubendem Tempo. Ich hätte nicht erwartet, dass er sich so darüber freuen würde, Dr. von Gruvenstein wiederzusehen. Doch sein Ausruf "Rennen Sie um Ihr Leben, meine Herren!" sprach dann auch eine deutliche Sprache davon, dass dem nicht so sei, sondern er es nur für opportun hielt, dem sich langsam in seine Richtung ausdehnenden Feuerball zu entkommen, der irgendwo in den Tiefen der La Frontera Victoriana ihren Ursprung haben musste.
"Ich glaube, es war doch Propangas", hörten wir ihn noch sagen, als er wie in Zeitlupe an uns vorbeischoß.
Ich konnte nur knapp "In Deckung" rufen, schon beförderte uns die Druckwelle zu Boden. Eine Front heißer Luft schob sich über uns hinweg und meine Gedanken pendelten zwischen der Frage, warum ich damals nur diesen unseligen Vertrag unterschreiben musste und der sicheren Erkenntnis, dass ich noch niemals mit so viel geballter Inkompetenz auf einem Haufen konfrontiert worden bin - nicht einmal damals in Damaskus, als ein frisch gebackener Leutnant meines Regiments der Meinung war, Schwertschlucken wäre eine einfache Kunst.
Explodierende Luftschiffe haben die unangenehme Eigenschaft, dieses in aller Regel nicht leise zu tun. Mit einem kaum zu ertragenden Pfeifen in den Ohren schaute ich mich nach den anderen um, die sich langsam aufrappelten. Ohne viele Worte zu wechseln - was aufgrund der eben geschilderten Problematik ohnehin schwer gefallen wäre - beschlossen wir, nicht auf die Reaktion der königlichen Gesellschaft bezüglich ihres brennenden Eigentums zu warten, sondern wankten, uns gegenseitig stützend, direkt in Richtung der nächsten Taverne. Dort sitzen wir nun und ich nutze die Gunst der nur durch hochfrequentes Dröhnen durchzogenen Stille, diese Worte zu Papier zu bringen, während die anderen bereits ausdruckslos vor einer grünen Flasche sitzen - gerade so als fürchteten sie, auch diese könnte gleich in Flammen aufgehen.
"Herr von Nankofen, setzen Sie sich zu uns". Allem Anschein nach meldet sich mein Gehör wieder zurück. Ich werde nun Herrn Eugenius dazu befragen, was denn wohl geschehen ist.