Tagebuch von Ronald von Nankofen, 26.05. 5 n. WK 4

26.05.5 n. WK4, 05:54 p.m., 59 °F, Regen

Ich habe nie Tagebuch geführt, da ich darin bislang keinen Sinn erkennen konnte. Und doch gibt es möglicherweise einen: Erinnerung an das, was in Vergessenheit geriet. So wie der gestrige Tag. Oder der Abend davor.

Der Morgen des 24.05. ist mir gut im Gedächtnis geblieben. Nachdem ich gegen 4 Uhr mein Gaststätten-Zimmer durch das Fenster zum Hinterhof verließ, um der Mietzahlung der vergangenen zwei Wochen zu entgehen, begab ich mich postwended zur Droschkenstation. Dieser Ort ist ein verschlafenes Nest. "Keine Fahrten am Sonntag". Ich könnte stattdessen in die Kirche gehen. Oder den Wanderzirkus besuchen.

Ein Blick in meinen Geldbeutel vermochte es nicht, meine Laune wesentlich aufzubessern. Viel zu lange war ich recht erfolglos von Nürnberg zur dänischen Grenze und bis hierhin zurück gereist, stets auf der Suche nach einer lukrativen Beschäftigung als Pilot. Oder Bordkanonier. Oder Kombüsengehilfe - so schlecht hatte mir diese Betätigung seinerzeit auch nicht gefallen.

Als meine Gedanken rund um die verschiedenen Schälweisen von Kartoffeln kreisten, entsann ich mich eines alten Taschenspielertricks, mit dem mein damaliger Kapitän Reisende im vorbeigehen um deren Börse erleichtern konnte. Eine gewisse Fingerfertigkeit ist mir nicht abzusprechen, also machte ich mich zum Marktplatz auf, um dort ein wenig Linderung meiner finanziellen Situation zu erzwingen.

Aber ich vergaß: es war Sonntag. Keine Droschkenfahrten. Keine Händler auf dem Markt. Nicht einmal ehrliche Bürger. Nur ein mißtrauischer Wachmann. Und dann doch ein Bürger. Und immer noch der Wachmann. Ein Mißgeschick. Flucht in einen Hühnerstall. Stunden des Wartens. Feststellen, dass die Luft vermutlich seit ebenso vielen Stunden rein war.

Spät war es geworden, als ich in die Gaststätte "Grüne Fee" einkehrte. Der Wirt konnte mir keinen Absinth anbieten. "Lasst mich raten - Sonntags gibt es keinen Alkohol?" - "Doch doch, aber die letzte Flasche ging an den Herrn mit dem modischen Hut".

Er deutete an einen Tisch, an dem ein - soweit ich mich entsinne - leicht verzweifelter, als Luftschiff-Kapitän gewandeter, Mann mittleren Alters den Anschein machte entscheiden zu müssen, ob er das Glas für die vor ihm stehende Flasche Absinth tatsächlich bräuchte.

Ich trat an den Tisch, stellte mich hackenschlagener Weise vor und nahm die verstörte Musterung meiner Person als direkte Einladung, Platz zu nehmen.

Selten so einen billigen Fusel getrunken, aber die Geschichte, die der gute Kapitän zu berichten wusste, war auffallend spannend. Glaube ich jedenfalls.

Sobald ich mich wieder daran erinnere, werde ich weiterschreiben.